SoSe2020
Jürgen Frankenstein-Frambach
Fotografie
02
Technische Grundfunktionen der Kamera
Zweiter Brief
Liebe Teilnehmerinnen, liebe Teilnehmer,
wie angekündigt, möchte ich einige Funktionen der digitalen Spiegelreflexkamera (SLRD) erläutern. Auch wenn Sie keine solche besitzen und mit einer Sucherkamera oder Ihrem Handy arbeiten, wäre es gut, die Inhalte nachzuvollziehen, da sie z.T. auch dafür zutreffen.
Reelles Raumbild 2020.
Foto: Jürgen Frankenstein-Frambach.
Wie entsteht ein Bild?
Zunächst benötigt man einen relativ dunklen Raum (Camera Obscura). Nehmen Sie eine Lupe (eine Brille geht auch) und halten diese vor eine weiße Fläche, wie auf der Abbildung gezeigt. Vor der Lupe muss ein heller Bereich (z.B. Fenster) sein, der sich abbilden lässt und nicht vom restlichen Raumlicht überstrahlt wird. Verändern Sie den Abstand zwischen Lupe und Fläche, bis eine scharfe Abbildung entsteht. Sie steht auf dem Kopf und ist seitenverkehrt. Genauso funktioniert das OBJEKTIV jeder Kamera, egal welcher Art. Dieses Prinzip, auf dem auch unser Sehen basiert, ist seit vielen Jahrhunderten bekannt und wird i.d.R. im Zusammenhang mit der Camera Obscura (funktioniert auch ohne Optik, besonders dann, wenn die Öffnung klein genug ist) erläutert. Recherchieren Sie bitte im Netz unter diesem Stichwort.
Der Abstand zwischen Lupe und Projektionsfläche entspricht annäherungsweise der BRENNWEITE (wird in mm angegeben), ein Begriff, der uns noch häufig beschäftigen wird. Mit einer Lupe kann man auch sehr anschaulich das Fokussieren (Scharfstellen) nachvollziehen. Um das Fensterkreuz auf der obigen Abbildung scharf einzustellen, muss ich die Lupe etwas weiter von der Projektionsfläche entfernen, als es beim Scharfstellen des im Außenbereich befindlichen Gebäudes (weiß) der Fall ist. Dies hängt mit dem Winkel der auftreffenden Lichtstahlen zusammen. Näheres könnte bei Bedarf in einem Frage — Antwort Forum oder einer Videokonferenz besprochen werden. Die physikalischen Voraussetzungen sind interessant — aber deren Kenntnis nicht unabdingbare Voraussetzung, um gute Fotos zu machen.
Die Blende (f)
Die Blende (f) ist der Pupille sehr ähnlich. Sie befindet sich im OBJEKTIV. Ihr Durchmesser ist veränderbar und kann damit zur Dosierung der Lichtmenge genutzt werden. Sie besteht aus einzelnen beweglichen Lamellen, die entweder automatisch, über entsprechende Tasten oder mit Hilfe eines Blendenringes verstellt werden können. Sie hat neben der genannten noch eine weitere sehr wichtige Funktion, die für die Bildgestaltung von entscheidender Bedeutung ist. Mit ihr kann die Schärfentiefe reguliert werden. Bei einer kleinen Blendenöffnung ist die Bildschärfe deutlich weiter ausgedehnt, als bei einer großen Blende. Das bedeutet, ein Objekt kann hervorgehoben werden, indem man den Hintergrund unscharf gestaltet, wie es etwa bei Portraitaufnahmen sehr beliebt ist.
Jeder Blendengröße ist eine Zahl zugeordnet. Diese wird errechnet, indem man die Brennweite durch den Durchmesser der Blendenöffnung teilt — ein Quotient also. Das bedeutet, dass eine große Blendenzahl (z.B. 22) eine kleine Blendenöffnung darstellt und eine kleine (z.B. 1.8) eine große Blende anzeigt. Diese Umkehrung ist am Anfang etwas unbequem und bedarf der Gewöhnung. Bei einem Portrait mit unscharfem Hintergrund könnte man also folgendermaßen verfahren: Wahlrad der Kamera auf manuell (M) stellen — dann die größtmögliche Blende wählen — scharf stellen (wenn nicht der Autofokus eingeschaltet ist) und auslösen. Das Motiv sollte dabei nicht zu weit (ca. 0.5 – 1.5 m) entfernt sein. Eines ist allerdings noch zu beachten, nämlich die BELICHTUNGSZEIT. Bei einer großen Blende muss diesekürzer sein, als bei einer kleinen Blende, um zu einer normalen Belichtung zu kommen.
Große Blende. 2010.
Foto: Jürgen Frankenstein-Frambach.
Kleine Blende. 2010.
Foto: Jürgen Frankenstein-Frambach.
Zeit — Blende — Kombination
Die Zeit — Blenden — Kombination kennzeichnet jede Aufnahme, egal mit welcher Kamera gearbeitet wird. Auch hier finden wir eine proportionale Umkehrung: Große Blende — kurze Belichtung | kleine Blende — lange Belichtung. Es sei denn, Sie möchten eine Über- oder Unterbelichtung vornehmen, was mit einer Automatikeinstellung, bei der Sie über diese Dinge nicht nachdenken müssen, kaum möglich ist. Diese strebt eine werksseitig vordefinierte „normale“ Belichtung an, die den kreativen Spielraum deutlich einschränkt. In Situationen, die schnelle Reaktionen verlangen, leistet sie allerdings gute Dienste.
Woher wissen wir, wie viel Licht für eine Aufnahme benötigt wird? In (fast) jeder Kamera befindet sich ein BELICHTUNGSMESSER, dessen Messwerte Grundlage für die Einstellung der Parameter sind — entweder automatisch oder manuell mit einer Skala als Orientierung. Die ISO Einstellung (wie empfindlich oder schnell reagiert der Sensor auf das einfallende Licht) und die Brennweite haben auch einen Einfluss auf die benötigte Lichtmenge. Das Verändern der Brennweite wird als ZOOMEN bezeichnet, ein Begriff, der Ihnen Vertraut sein dürfte. Nahezu jede Kamera ist heutzutage mit einem Zoomobjektiv ausgestattet und erlaubt es, einen Gegenstandsbereich größer, oder kleiner dazustellen, ohne den Standort zu verändern.
Zweig. 2009.
Foto: Jürgen Frankenstein-Frambach.
Große Blende – fokussiert auf
kurze Entfernung = unscharfer Hintergrund.
Der Verschluss
Der Verschluss verschließt den inneren Raum der Kamera komplett und lässt nach Einschalten der Kamera erst Licht durch, nachdem der Auslöser gedrückt wurde. Er wird elektronisch über die Zeiteinstellung geregelt und erlaubt Zeiten von ca. 1/8000 Sek. bis zu 30 sek., oder bei der „bulb“ Einstellung beliebig, solange der Auslöser gedrückt bleibt.
ISO Einstellung (Menü)
ISO Einstellung (Menü) verweist (als Zahlenskala 100 / 200 / 400 etc.) auf die Empfindlichkeit oder auch Reaktionsschnelligkeit des Sensors und erlaubt eine Erweiterung des Spielraumes bei der Zeit — Blenden — Kombination. Insbesondere bei schwachen Lichtverhältnissen ist das hilfreich. Wenn Sie bei wenig Licht (z.B. in Innenräumen) fotografieren, kann es passieren dass Sie trotz Wahl der größten Blende eine recht lange Belichtungszeit einstellen müssen, um keine Unter -belichtung zu riskieren. Das bedeutet allerdings, dass nun Verwacklungsgefahr besteht. Regeln Sie jetzt die ISO Zahl hoch (z.B. ISO 800 oder mehr), reagiert der Sensor empfindlicher und damit schneller, wodurch kürzere Belichtungszeiten möglich werden. Dieser Vorteil muss allerdings „bezahlt“ werden — denn die Bildqualität verringert sich proportional. Man spricht von „Rauschen“. Deshalb ist es nicht sinnvoll, ohne Not mit einer hohen ISO Zahl zu arbeiten, es sei denn, sie möchten die groben Pixel gestalterisch einsetzen. Überprüfen Sie, die ISO Einstellung an Ihrer Kamera und wählen sie der Wert 200, solange ausreichend Licht vorhanden ist.
Übung
Wischeffekt. 2012.
Foto: Jürgen Frankenstein-Frambach.
Wischeffekt
Wir kommen damit zu einer ersten ÜBUNG, bei der alle genannten Parameter beteiligt sind und eine Automatikeinstellung in aller Regel versagt, nämlich dem Wischeffekt. Es geht darum, ein bewegtes Objekt (Spaziergänger, Haustier, rollender Ball, vorbeifahrendes Fahrzeug, fliegender Vogel etc.) zu fotografieren und die Kamera während der Aufnahme mitzuziehen. Es bedarf fast immer mehrerer Versuche. Gehen Sie folgendermaßen vor:
1. |
ISO Einstellung niedrig (!00 oder 200) |
2. |
Belichtungszeit: zehntel oder zwanzigstel Sekunde (1/10s oder 1/20 s) |
3. |
Kleine Blende f/8; 11; 16 (je nach Tageslichtmenge) |
4. |
Brennweite verlängern (zoomen) mindestens 80 bis 100 mm oder mehr |
5. |
Entfernung zum Objekt maximal 10 Meter |
Diese Angaben sind Annäherungswerte, da es viele Wechselwirkungen gibt. An sehr sonnigen Tagen muss die Blende kleiner sein, um längere Belichtungszeiten wählen zu können. Bei einem geringen Abstand zum Objekt, ist nicht unbedingt eine lange Brennweite erforderlich. Bedenken Sie, dass der Eindruck von Geschwindigkeit im mit der Entfernung abnimmt, d.h. je weiter Sie vom Objekt entfernt sind, desto spärlicher fällt der Wischeffekt aus.
Bedenken Sie auch die Auslöseverzögerung, die bewirkt, dass das Bild nicht genau in dem Augenblick des Auslösens entsteht. Der Autofokus benötigt etwas Zeit für die Schärfeneinstellung. Falls dieser abgeschaltet werden kann, entfällt die Zeitverzögerung. Ansonsten lösen Sie einfach etwas früher aus und bewegen die Kamera weiter, um den Bildhintergrund verwischt zu gestalten. Probieren Sie — experimentieren Sie — lernen Sie die Kamera kennen — erkunden Sie das Menü — Meisterwerke sind erlaubt, werden aber nicht erwartet. Durch das Experimen- tieren entstehen manchmal interessantere Ergebnisse, als bei durchgeplanten Settings. Ein bis zwei gelungene Fotos genügen für Ihr Portfolio, dessen Inhalte ich als Grundlage für eine Bewertung und Notenfindung verwenden möchte. Bitte keine RAW Dateien senden, da das immer wieder zu Problemen führt. Üben Sie auch auf der Grundlage der vorliegenden Erläuterungen die bewusste Verlagerung der Bildschärfe wechselweise in den Vordergrund oder Hintergrund bei geöffneter Blende. Vergleichen Sie, wie sich der Motivbereich bei geschlossener Blende darstellt. Der Vordergrund sollte dabei nicht weiter als 1m entfernt sein. Der Hinter- grund sollte deutlich weiter entfernt sein.
Keine Kamera vorhanden
Wenn sie keine, oder nur eine sehr einfache Kamera besitzen oder mit dem Handy arbeiten möchten und keinen Zugriff auf Zeit und Blende haben, warten Sie bis zur Dämmerung, denn bei schwachem Licht muss auch die Automatikfunktion längere Belichtungszeiten steuern, wenn der ISO Spielraum ausgeschöpft ist. Wenn Sie Bewegungen beschleunigen und Entfernungen verringern, werden Sie deutlichere Ergebnisse erzielen. Die Memo Funktion des Auslösers (Automatik Modus): Hiermit haben Sie die Möglichkeit Ihren gestalterischen Einfluss auf das Ergebnis etwas zu erweitern. Für den Wischeffekt ist es keine Hilfe, aber für die Schärfeverteilung und die Belichtung. Dies gilt nicht für alle Kameramodelle. Drückt man den Auslöser nach Einschalten der Kamera nur leicht bis zum Druckpunkt, ohne auszulösen, werden bereits alle für die Aufnahme nötigen Parameter errechnet. Das dauert ein — zwei Sekunden. Die Messwerte bleiben erhalten, solange der Finger in dieser Position verbleibt. Löst man den Druck, sind die Messwerte verloren. Das eröffnet folgende Möglichkeit. Ich visiere einen bestimmten Motivbereich an, drücke den Auslöser bis zum Druckpunkt und schwenke die Kamera auf einen anderen Motivbereich und löse dann aus. Die Messwerte für das erste Motiv (z.B. dunkle Flächen) werden beim zweiten angewendet (z.B. hellere Bereiche). Dadurch erhält man eine Überbelichtung und umgekehrt eine Unterbelichtung. Auch die Schärfe ist hiermit steuerbar. Es wird auf kurze Distanz fokussiert, dann ein Ausschnitt mit weiter entfernten Objekten fotografiert, die dann unscharf abgebildet werden. Im nächsten Abschnitt (zweiter Termin) wird es um die Bildbetrachtung, einige Aspekte der Wahrnehmung mit ihren bewussten und unbewussten Anteilen und unsere Beurteilungskriterien gehen, bevor wir uns der Portraitfotografie zuwenden.
Kassel,
SoSe 2020
Mit herzlichen Grüßen
Jürgen Frankenstein-Frambach